Freitag, 23. November 2007

Demokrit: Die Atomstruktur der Seele

In der Interpretation von Gregory Vlastos ist Wohlgemutheit nur das, was an der Oberfläche erscheint und was wir unmittelbar merken. Ihr zugrunde liegt jedoch, was Demokrit euestó (von eu – gut, und estó – dorisch: sein) nennt: ein wohlgeordnetes Verhältnis der Seelenatome untereinander. Demokrit hat in seinen naturphilosophischen Schriften die Auffassung vertreten, dass die Seele ebenso aus Atomen besteht wie alle anderen physikalischen Körper auch. Die Atome der Seele sind rund und besonders beweglich, wodurch die Seele einerseits besonders gut Einwirkungen von außen aufnehmen kann (z.B. wahrnehmen) und als Beweglichstes den Rest des Körpers bewegen, andererseits ist die Gefahr besonders groß, dass die Atome in Unordnung geraten. Die „großen Pendelausschläge“ im Frg. 191 beziehen sich möglicherweise nicht nur auf Wechsel der Launen, sondern auf übermäßige Atombewegung. Es ist aufgrund der Beweglichkeit der Seelenatome eine große Kunst, das richtige Maß zu halten. Das ist der Fall, wenn sich die Atome in ihrem natürlichen Schwingungszustand befinden (Vlastos: „dynamic equilibrium“).
Vlastos zeigt die weitgehende Parallelisierung des euestó der Seele mit der Gesundheit des Körpers auf. Daher mag es verwundern, dass im Falle der Seele ihr Wohlergehen nicht durch Gymnastik sichergestellt wird, sondern durch Vernunft, und dass die zuständige Wissenschaft nicht die Medizin (heute etwa die Psychiatrie), sondern die Ethik ist. Mit der Zuweisung der Vernunft an die Seele und der Bestimmung der Seele als dasjenige, das den Körper bewegt und steuert, etabliert Demokrit eine Vorherrschaft der Vernunft und eine gewisse Unabhängigkeit des Menschen von seiner Umwelt. Der Mensch kann durch Wahl der richtigen Lebensweise seine Seele und seinen Körper erhalten und pflegen.

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